Site Overlay

Schönheit oder Freiheit als Staatsprinzip?

Das Ziel meines Vortrages ist es, Hegels Konzeption des „politischen Kunstwerkes“ vorzustellen. Mit dem Begriff des politischen Kunstwerkes bestimmt Hegel das Gesellschafts-Modell des griechischen Stadtstaates, der polis. Ich beziehe mich hauptsächlich auf die Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, wo die Antike vorgestellt wird als die für immer verlorene „Jugendfrische des geistigen Lebens“ – wie Hegel sich ausdrückt. Der Zeitraum, der Hegel dabei interessiert, erstreckt sich lediglich über 60 Jahre – von den Perserkriegen 492 bis zu den Peloponnesischen Kriegen 431 vor Christus. Diese Zeit nennt er „die schöne Blüthe“. Zunächst werde ich die Tatsache zu interpretieren versuchen, dass Hegel ästhetische Kategorien auf die Beschreibung des gesellschaftlichen Lebens der polis anwendet. Eine begriffliche Verknüpfung von Kunst und Politik mag für uns zunächst sehr fremd klingen. Doch nach Hegel war es die Kunst, die im antiken Griechenland zum höchsten Ausdruck des Absoluten wurde – und so kann er auch die Sphäre des gesellschaftlich-politischen in ästhetischen Kategorien erfassen. Danach möchte ich den grundlegenden Unterschied herausarbeiten, den Hegel zwischen der antiken und der modernen Freiheit sieht, und zwar im Hinblick auf die christliche Religion. Hierher gehören auch Überlegungen zur Bedeutung von Sokrates’ tragischem Tod, denn dieser ist nach Hegels direkt mit der Frage nach dem Untergang der polis verknüpft. Eine wichtige Rolle wird Hegels Differenzierungen zukommen, die ihn zu einer Gegenüberstellung der griechischen und der modernen Kultur Europas führen. Zuletzt möchte ich einige Überlegungen vorstellen, inwiefern ein Staatsbegriff, der sich auf das Prinzip des Schönen stützt, heute noch aktuell oder zumindest inspirierend sein kann.

Ich möchte meinen Vortrag mit einer Feststellung beginnen, die auf den ersten Blick nicht mit dem Titel meines Referats in Übereinstimmung zu bringen ist. Der Titel suggeriert nämlich, die Prinzipien des Schönen und der Freiheit schlössen sich gegenseitig aus. Für Hegel haben jedoch beide Prinzipien Platz im gesellschaftlichen Leben der griechischen polis. Während jedoch das Schöne für die Einheit der polis steht, steckt im Prinzip der Freiheit der Keim für ihren Zerfall (Hegel sagt „Verderben“). Hegel schreibt: „In der Schönheit, als dem Principe der Griechen, war die concrete Einheit des Geistes mit der Realität, mit Vaterland und Familie u. s. w. verbunden“ . Die ästhetischen Begriffe, mit denen Hegel die gesellschaftliche Wirklichkeit der polis bestimmt, darf man jedoch nicht im Kantischen Sinne verstehen. Nach Kant müssen wir uns auf das Subjekt und sein Gefühl der Lust beziehen, um zu bestimmen, was schön ist. Für Hegel dagegen ist Schönheit nicht etwas Subjektives, dem kein Objekt entspräche. Er spricht der Schönheit politische Realität zu. Als solche bildet sie die objektive Sittlichkeit und ist nicht auf den Genuß oder die Anschauung beschränkt.

Wie soll man also Feststellungen von Hegel verstehen wie diese: „So gab Athen das Beispiel eines Staates, der wesentlich zum Zwecke des Schönen lebte “, oder die Aussage, dass die griechische Sittlichkeit „höchst schön ist“ ? Als das Schöne bestimmt Hegel hier das direkte und unbewußte Engagement des Bürgers im Leben seines Stadtstaates. Die polis verschlang ihre Mitglieder so vollständig, dass es unvorstellbar gewesen wäre, ihre fundamentalen Prinzipien in Frage zu stellen. Ebenso unmöglich war es, in der Politik partikuläre Ziele verwirklichen zu wollen und Rechte für sich selbst zu fordern. Der Staatsmann, der diese Art von schöner Sittlichkeit verwirklichte, die sich im Dienst für das Allgemeinwohl (Thätigkeit fürs Öffentliche) erfüllte, war für Hegel, wie er sich ausdrückt „der große Glanzpunkt von Athen“ – nämlich Perikles. Mit den Worten von Tukidides erinnert Hegel übrigens an die Rede des Perikles am Grab der im Zweiten Peloponnesischen Krieg Gefallenen. Perykles beschreibt die Athener unter anderem als eine das Schöne liebende Nation. Hegel verbindet dieses Gedanken des Perikles unmittelbar mit dem Dienst für das Allgemeine und stellt dem Prinzip des Schönen, auf das Athen sich stützte, das Sokrateische Prinzip der Moralität gegenüber, das die Menschen von den praktischen Dingen und der vorgefundenen Wirklichkeit trennt.

Der griechische Bürger handelte also nicht nach dem eigenen Interesse oder dem eigenen Glücksstreben. Er richtete sich vielmehr nach den traditionellen Idealen seiner Heimatstadt, die er ohne Vorbehalte akzeptierte. Er war so tief verwurzelt in der Politik und dem Ethos seiner Stadt, dass es keine Übertreibung ist zu behaupten, dass dieser Mensch nicht als Einzelner an sich lebte. In seiner Individualität anerkannt war er nur als Mitglied der Familie und des Stammes, zu dem er gehörte. Als Angehöriger der politischen Gemeinschaft jedoch wurde er nicht in seiner Individualität anerkannt. Und auch die Stammes-Zugehörigkeit bestimmte das Schicksal des griechischen Menschen, der ohne Aufbegehren die Verantwortlichkeit für die Fehltritte seiner Vorfahren erbte, der sich für Taten schuldig erklärte, die er weder bewusst noch absichtlich beging. Als Beispiel kann hier die Geschichte von Ödipus dienen. Der neuzeitliche Mensch jedoch sieht in solchen Zurechnungen etwas Ungerechtes und Unvernünftiges.

Die gesellschaftliche Ordnung, die sich auf die spontane und unbewusste Identifikation der Bürger mit ihrem Staat gründet, verhinderte eine Differenz zwischen dem Allgemeinwillen und dem partikulären Willen. Das Wesen einer so verstandenen Sittlichkeit wurde Hegel zufolge auf vollkommenste Weise von Platon eingefangen. In Platons Staat besitzt der Mensch keine Individualität im vollen Wortsinn. Er ist nur ein Teil des Organismus, der durch ihn zu seinen eigenen allgemeinen Zielen strebt. Zwar erkennt Platon das Prinzip der freien Individualität an, aber er gesteht es allein den Philosophen als Herrschern zu. Das Prinzip der subjektiven Freiheit ist für den griechischen Philosophen problematisch, denn es ist für ihn durch subjektive Willkür gekennzeichnet und droht, den Staat ins Chaos zu stürzen.

Das spontane Vertrauen dem Staat gegenüber und die Identifikation des Bürgers mit seiner gesellschaftlichen Rolle, die durch keinen partikulären Willen in Frage gestellt wird, führten bei den Griechen zu einem Mangel an Distanz zwischen den eigenen Wünschen und den Gesetzen ihres Staates oder den Forderungen der Tradition. Der griechische Geist weist in sich einen gewissen Mangel auf – einen Mangel an Reflexion. Das Schicksal, das Orakel ersetzen im gesellschaftlichen Leben die selbstständige Entscheidung. Außer meint Hegel, dass „die Moralität im eigentlichen Sinne, die Innerlichkeit der Überzeugung und Absicht noch nicht vorhanden ist“ . Der antike Osten und die antike Welt besaßen noch keinen solchen Begriff von Freiheit, bei dem der Mensch, als moralisches Subjekt, keine anderen Autoritäten als seine eigene Vernunft und sein eigenes Gewissen anzuerkennen braucht. Der Gedanke, die Freiheit sei das tiefste Wesen des Menschen, entstand nach Hegel nämlich erst in der christlichen Religion. Ihren vollen Ausdruck und ihre volle Kraft erlangte diese Freiheit erst im protestantischen Christentum. Der Katholizismus nämlich ordnet den Menschen – entgegen dem Prinzip der Freiheit – der politischen Organisation der Kirche unter. Der Protestantismus entdeckt die christliche Freiheit als innere Unabhängigkeit und Gewähr der selbstständigen Befreiung. (Die stoa war dem Christentum in dieser Hinsicht sehr nahe.) Bekanntlich wird die christliche Freiheit jedem Menschen in gleichem Maße zugeschrieben. Diesen Grad des Bewusstseins, dass jeder Mensch in seinem Wesen frei ist, besaß das antike Griechenland nicht. Die Griechen tolerierten die Sklaverei, nach Hegel eine notwendige Stufe in der Entwicklung der Menschheit, aber dennoch etwas Schändliches. Die individuelle Freiheit war auf eine auserwählte und privilegierte Klasse beschränkt und wurde so kein allgemeines Prinzip. Die Gesellschaft, die eine Kritik am geltenden Recht, den Sitten und der Religion verdammte, erschwerten die Bewusst-Werdung und damit den Widerstand gegen solche Zustände.

Ein solcher absoluter Vorrang der Gemeinschaft vor dem Individuum ist in der moderne Welt unmöglich. Zwar bleibt es wahr, dass das Wohl des gesellschaftlichen Ganzen das höchste Ziel ist, und im Dienst für seinen Staat kann man die Erfüllung seiner eigenen Individualität finden. Aber: die allgemeine normative Ordnung wird nur dann als vernünftig und mit dem Prinzip der Freiheit vereinbar anerkannt, wenn sie durch den individuellen Willen „bekräftigt“ wird. Die Gesetze der polis dagegen treten in der Form der Natur-Notwendigkeit auf. Die bloße Kohärenz der Gemeinschaft schließt innere Konflikte, Unfrieden und Egoismus aus. Hegel schreibt: „Die Griechen bleiben in der Mitte der Schönheit und erreichen noch nicht den höheren Standpunkt der Wahrheit“ . Das Schöne erweist sich als ein einseitiger Grundsatz. Im politischen Kunstwerk bleiben alle Bestandteile der geistigen Wirklichkeit im Gleichgewicht und in der Harmonie. Die klassische Kunst, die Hegel als Begriff auf die polis anwendet, führte den Menschen nicht zu einer Vertiefung seiner Persönlichkeit. Es fehlt ihr das partikuläre Moment, und deshalb gibt es kein Böses, keine Fehler, keine Unzulänglichkeit. Es gibt nichts, dass sich dem Sittlichen und Absoluten gegenüberstellen könnte. Die klassische Kunst und mit ihr das politische Kunstwerk kommt über das Gebiet des reinen Ideals nicht hinaus. Erst das Innenleben zerrt die griechische Welt zum Abgrund.

Die subjektive Reflexion hielten die Sophisten hoch, die erklärten, jeder solle seinen eigenen Überzeugungen gemäß handeln. Eine besondere Rolle in diesem Kontext fiel jedoch Sokrates zu, der für seine Haltung mit dem Leben bezahlte, eine Haltung, die Ausdruck der individuellen Freiheit war. Diese Haltung war nach Hegel jedoch inkommensurabel mit dem Prinzip der griechischen polis. Genau deshalb geht Sokrates durch das Urteil des Staates zugrunde, der die gesellschaftliche Ordnung und seinen Mangel an Selbst-Reflexion über die Freiheit des Einzelnen und die unabhängige Gewissens-Entscheidung stellt. Sokrates ehrt die Götter nicht und verdirbt die Jugend. Sein eigenständiges Denken ist revolutionär. So Hegel:

„Durch die aufgehende innere Welt der Subjectivität ist der Bruch mit der Wirklichkeit eingetreten. Wenn Sokrates selbst zwar noch seine Pflichten als Bürger erfülle, so war ihm doch nicht dieser bestehende Staat und dessem Religion, sondern die Gedankenwelt die wahre Heimat“ .

Sokrates fügt sich selbst in das Urteil des Staates, obwohl es die Intoleranz der Griechen ausdrückt und ihre Missachtung des allgemeinen Prinzips der Freiheit. Wie Hegel es ausdrückte, erst in der Moderne wurde jeder Bürger zu einem „freien Sokrates“. Gerade mit Sokrates und seinem δαιμονιον beginnt der Verfall des griechischen Staates. Denn sich auf die Moralität berufend kann der Einzelne alle gesellschaftlichen und staatlichen Prinzipien in Frage stellen. Diese Form der Freiheit wurde in der Geschichte immer mehr Wirklichkeit, vor allem durch Ereignisse wie die schon erwähnte Reformation, die Aufklärung und die Französische Revolution. Sie entwickelten das schon in der Antike keimende Sokrateische Prinzip. Der Unterschied zwischen der Antike und der Moderne beruht gerade darauf, dass der Mensch der Moderne Freiheit fordert im unendlichen und unbedingten Sinn. Er beginnt über einen arbiträren Willen zu verfügen und kann über sein Leben entscheiden. Und weil er seiner eigenen Individualität bewusst ist – richtet er sich dem von seiner Individualität vorgegebenen Eigeninteresse. Die moderne Persönlichkeit wird sich ihrer Fremdheit gegenüber der „Allgemeinheit“ bewusst. Die sittliche Ordnung, die sich in der natürlichen und unmittelbaren Einheit ausdrückt, wird ersetzt durch die vermittelten Bindungen des gesellschaftlichen Lebens. An die Stelle des Unmittelbaren, sich als spontane und unbewusste Identifikation mit der Gemeinschaft Äußernden tritt die Distanz, die aus den Prinzipien der Moderne erwächst – die Freiheit. Die bürgerliche Gesellschaft ist in großem Maße Ausdruck partikulärer Interessen Einzelner, die im modernen Staat anerkannt und geschützt werden müssen. Meinungsfreiheit sollten selbst dann respektiert werden, wenn sie in Konflikt mit Tradition und gesellschaftlichen Werten geraten. In der modernen Welt müssen Prinzipien der Tradition rational und subjektiv gerechtfertigt werden – nur als solche werden sie akzeptiert. Hegel schreibt jedoch, leicht ironisch, an Thukidides erinnernd:

„Sobald die Reflexion eintritt, so hat Jeder seine eigene Meinung, man untersucht, ob das Recht nicht verbessert werde könne, man findet, anstatt sich ans Bestehende zu halten, die Überzeugung in sich, und so beginnt eine subjektive unabhängige Freiheit, wo das Individuum im Stande ist, selbst gegen die bestehende Verfassung Alles an sein Gewissen zu setzen. Jeder hat seine Prinzipien, und wie er dafür hält, so ist er auch überzeugt, daß dieses das Beste sei und in die Wirklichkeit eingebildet werden müsse. Von diesem Verfalle schon spricht Thucidides, wenn er sagt, daß jeder meine, es gehe schlecht zu, wenn er nicht dabei sei. “

Die Errungenschaft der Moderne ist der abstrakte Staat (Hegel: „die Abstraktion eines Staates“) – (heute, könnte man hinzufügen, immer anonymere außer- und überstaatliche Strukturen). Die Griechen jedoch sind stolz auf ihr lebendiges Vaterland. Hegel: „Dem Griechen war das Vaterland eine Notwendigkeit, ohne die er nicht leben konnte“ . Die Moderne akzeptiert Gruppen- und Einzelinteressen, sie muss sie jedoch mit den allgemeinen Zielen des Staates in Einklang bringen. Das gesellschaftliche Leben Griechenlands wird durch die allgemeine Übereinstimmung der Interessen in kleinen, demokratischen Staaten konstituiert. In der Moderne ist der politische Raum von der bürgerlichen Gesellschaft getrennt. Die gesellschaftlichen Beziehungen in Griechenland regulieren die unmittelbaren Beziehungen des Beherrschens und der Abhängigkeit. Die Gesellschaftsstruktur stützt sich dabei auf das unmittelbare Sich-Durchdringen von Staat, Gesellschaft und Familie. Die Moderne dagegen konstituieren komplizierte wirtschaftliche Abhängigkeits-Verhältnisse, eine Spezialisierung des Regierungskörpers, Repräsentativ-Gewalten und Berufspolitiker. Griechenland charakterisiert das amateurhafte, spontane und unmittelbare Engagement im Leben des Landes. Die politischen Institutionen gibt es nicht unabhängig vom Ethos der polis. Dem modernen Menschen wird Freiheit gleichsam automatisch zugeschrieben – mit Rücksicht auf sein Menschentum. In den antiken Stadtstaaten Griechenlands genießt der Bürger Freiheit insofern, als er am politischen Leben der Gemeinschaft teilnimmt (die Verfolgung des Eigennutzes wurde damals überhaupt nicht als Freiheit betrachtet). Die moderne Form der Freiheit nimmt im Staat die Form des Zivilen an. Die griechische Freiheit ist eine politische, die den bürgerlichen Raum konstituiert und rechtfertigt. Sie schafft nicht ihre innere Unabhängigkeit des Gewissen, sondern einen dem Menschen äußerlichen gesellschaftlichen Raum, der durch bürgerschaftliches Engagement gefüllt wird. Der moderne Mensch interessiert sich für die Entwicklung seiner Individualität, dem Erwerb und der Ansammlung von Gütern für sich selbst. Die Griechen waren in weit höherem Maße auf das gemeinsame Wohl hin orientiert. Der moderne Mensch ist ein unabhängiges Individuum, das anderen Individuen gegenüber steht. Der Grieche hält sich für ein von Natur aus politisches Wesen. Er identifiziert sich durch die Zugehörigkeit zu einer historischen Gemeinschaft und als Bürger der Stadt, aus der er stammt. Die Struktur der modernen Gesellschaft ist locker, die der Griechen dominiert den Einzelnen. Die Moderne erlange die Eigenständigkeit der Personen und die Verantwortung des Menschen für sich selber. Die antike Individualität ist heroisch und ideal.

Hegel war sich dessen sehr genau bewusst, dass sich die klassische politische Theorie fundamental von derjenigen der Neuzeit, etwa bei Hobbes oder Rousseau, unterscheidet. Das neuzeitliche Denken widerspricht den Prinzipien, auf denen das antike Denken beruht. Das für das neuzeitliche Denken so charakteristische Staatskonzept von Hobbes (dem Hegel viel Beachtung schenkt) ist ein Konzept, in dem der Staat ein künstliches Gebilde ist: eine künstliche Konstruktion und ein Vertrag. Verfiel hier die Ansicht, der Mensch sei von Natur ein politisches Wesen. Anstatt dessen wurde der Mensch als privates Wesen betrachtet, dessen gesellschaftliche Bindung zu den anderen Menschen schwach sind. Der neuzeitliche Mensch schafft den Staat, weil er sich um seine Sicherheit fürchtet. Der Staat hört auf, ein natürlicher Halt für den Menschen zu sein, und wurde zum Ergebnis eines Vertrages auf der Grundlage des Individualismus. Der Mensch besitzt nicht mehr die Fähigkeit, seine schöpferischen Kräfte im Gleichgewicht zu halten. Harmonie, Maß, Gleichgewicht – das sind die Ideale der Antike. Für den Menschen gibt es keinen wirklich zufriedenstellenden Zustand, wenigstens nicht, wie das Christentum behauptet, auf dieser Erde. Der Staat ist ein künstliches Gebilde, er beruht auf der rationalen Entscheidung freier Individuen. Das ist die völlige Ablehnung des Denkens, das als politische Kunst verstanden wird. Hier kann vieleicht erscheinen die Asotiation des Bildes des Staates als Maschine, die taucht übrigens in einem der kleineren Texte Hegels auf, im Ältesten Systemprogramm des Deutschen Idealismus, verfasst 1796/97.

Schlussfolgerungen:

Die Freiheit spielt eine wesentliche Rolle in der Politik. Die Kategorie der Freiheit können also offensichtlich auf die Bestimmung von Politik angewandt werden. Dagegen erscheint es merkwürdig und überraschend, die Kategorie des Schönen zur Bestimmung des Gesellschaftlichen heranzuziehen, wie es bei Hegels „politischem Kunstwerk” der Fall ist. An einer Stelle widerspricht Hegel dieser Möglichkeit selber: in den Grundlinien der Philosophie des Rechts, wo er schreibt, der Staat sei kein Kunstwerk (§ 258 Zusatz). Allein die griechische polis jedoch ist, aus der Perspektive der reiferen Zeit der Moderne, eine schöne, wenngleich vergangene, Erfahrung aus den Jugendjahren des Geistes, als dieser ein plastischer Künstler war [das ist Hegels Bestimmung des griechischen Geistes]. In den Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte heißt es, die griechische Welt sei unwiederbringlich zugrunde gegangen, so wie vor ihr die Welt des Ostens und nach ihr die römische Welt. Schon die Phänomenologie des Geistes jedoch wechselt die Perspektive der Interpretation. Die Welt des Sittlichen ist hier ein ewig lebendiger und nie erlöschender Horizont, dessen bestimmte Formen sich immer anders in der menschlichen Welt und im Handeln des Einzelnen zeigt.

Ich bin der Überzeugung, dass das richtige Verständniss der Konzeption des politischen Kunstwerkes und des Ortes, den der Mensch in ihm einnimmt, hilft, viele andere Motive des Hegelschen Philosophie zu verstehen. Ich bin der Überzeugung, dass es noch vieler anderer Aspekte der Hegelschen Philosophie bedarf, um die Konzeption des politischen Kunstwerkes und des Ortes, den der Mensch in ihm einnimmt, zu verstehen. Als Beispiel kann ich hier das Konzept der Dialektik geben, die in den Grundlinien der Philosophie des Rechts statt hat. Obwohl die Perspektive der Moderne in diesem Werk die dominierende ist, haben wir es hier nicht mit der Sicht des zerrissenen, mit sich selbst im Konflikt liegenden Menschen zu tun. Dieser Konflikt soll darauf beruhen, dass der Mensch – als moderner Mensch – in seinem Handeln in viel stärkerem Maße als der antike Grieche durch egoistisches Interesse motiviert ist. Auf der anderen Seite jedoch lastet auf ihm ständig die Pflicht der Arbeit für das Allgemeinwohl – die universale Pflicht, aber dies sicherlich weniger deutlich zu Hegels Zeiten als in den Zeiten des antiken Griechenlands. Diese hier angeführten unterschiedlichen Haltungen sind, wie Prof. Siemiek es ausdrückt, „nur zwei unterschiedliche Gesichter desselben modernen Menschen, der eigentlich keiner von beiden entspricht, sondern einmal der einen und einmal der anderen“ (153). Die reife Dialektik Hegels führt damit über Einseitigkeiten hinaus, wie sie die Konzeptionen bereits genannter Philosophen wie Platon und Hobbes kennzeichnen.

Das Konzept des politischen Kunstwerks erinnert uns daran, dass die innere Erfahrung der politischen und zwischenmenschlichen Erfahrung gegenüber sekundär ist. Der Mensch könnte innere Freiheit nicht erfahren, wenn er nicht vorher den Zustand der Freiheit als äußerliche Wirklichkeit erfahren hätte. Diese Erfahrung brachte ihm, wenngleich in begrenztem Umfang, die griechische polis. Sie ist die Quelle unserer politischen Kultur. Hier geschah es, im Rahmen einer demokratischen Ordnung, „dass den Bürgern Raum zur Darstellung gegeben wurde, wo sie handeln und etwas von der Form eines Theaters schaffen konnten, in dem Freiheit ihren äußerlichen Ausdruck finden konnte“ – wie Hannah Arendt über die griechische polis schrieb. Hier war das politische Leben für den Bürger eine harmonische Verwirklichung seiner Persönlichkeit. Die Niederlage des politischen Kunstwerks jedoch beruhte auf dem Mangel, in seinem Rahmen keinen universalen Anspruch auf Freiheit anzuerkennen. Die Griechen erkannten die Gleichheit der Menschen nicht an, weder politische noch allgemeine Menschenrechte – dies geschah erst im Christentum. Die Freiheit war für die Griechen nämlich etwas, das durch die Mitgliedschaft im Staat verliehen wurde, und nicht durch die Zugehörigkeit zur menschlichen Gattung als solcher. Das Schöne als Staatsprinzip schuf starke gemeinschaftliche Bande und milderte die Differenz zwischen Gedanken und Wirklichkeit. Der innere Raum jedoch, Sokrates’ δαιμονιον – obwohl er nur in Verbindung mit der Welt das sein kann, was er ist, ist doch zugleich die Quelle, aus der ein Konflikt mit der Wirklichkeit fließen kann, wenn er es auch nicht muss. Die Quelle dieses Konfliktes hat Hegel genannt: Moralität, Gewissen, Gedanke, Reflexion. Das Schöne war das Prinzip des griechischen Staates und das Fundament, auf dem sich die Idee der allgemeinen Freiheit entwickeln konnte. Das Schöne bleibt bis heute ein Wert, der eine Brücke zwischen unserem inneren Leben und der äußeren Wirklichkeit bildet.

Katarzyna Guczalska
Katarzyna Guczalska, Schönheit oder Freiheit als Staatsprinzip? Antike und Moderne bei Hegel, w: Hegel-Jahrbuch 2004, Glauben und Wissen (Zweiter Teil), s. 286-290.